Rolf Bossi Halbgötter in Schwarz

Rolf Bossi Halbgötter in Schwarz. Deutschlands Justiz am Pranger

Rolf Bossi Halbgötter in Schwarz. Deutschlands Justiz am Pranger
Eichborn Verlag Frankfurt/M

Verkündigung von Haftbefehlen trotz attestierter und unbestrittener Haftunfähigkeit, unbekümmerte Übernahme phantastisch zu nennender Beschuldigungen durch die Staatsanwaltschaft und das Gericht, Unterlassung der notwendigen medizinischen Versorgung eines unschuldig in Untersuchungshaft Einsitzenden nach Übergriff eines Mithäftlings, polizeiliche Durchsuchungen ohne Durchsuchungsbefehl, keinerlei richterliche oder polizeiliche Befragung von Entlastungszeugen, auch nach acht Wochen Untersuchungshaft keine rechtmäßige Vernehmung des sich in Untersuchungshaft Befindenden, Klagen auch bei unzureichendem Tatverdacht, schlampige bis gar keine und nur zu Lasten des Beschuldigten gehende Ermittlungen, weitgehende Unkenntnis der Ermittlungsakten bei Richtern, öffentliche Vorverurteilungen des Beschuldigten durch einen Oberstaatsanwalt vor der Boulevardpresse, die über die dokumentierten Anschuldigungen sogar hinausgehen, blindes Vertrauen in Gutachten, das Etablieren von Hausgutachtern, da sie das vom Gericht gewünschte Ergebnis abliefern, das In-die-Länge-Ziehen auch aussichtsloser Prozesse, das Weglassen angeblich irrelevanter, tatsächlich aber wichtiger Aussagen, das Ignorieren von Fakten, bei entlastenden Aussagen Säen von Zweifeln an der Glaubwürdigkeit des Zeugen bis hin zur Bezichtigung der Lüge, die völlige Verdrehung der Aussagen von Zeugen bis zum gegenteiligen Inhalt, das Schaffen neuer Tatsachen, öffentliche Vorverurteilungen, denen ein allzu oft kurzer Prozeß folgt, das komplette Weglassen entlastender Aussagen im Urteil, sowie das Weglassen kriminaltechnischer Auswertungen, wenn sie für den Angeklagten sprechen,  mit der Begründung, sie seien „für die in der Anklageschrift vorgeworfene Tat ohne Bedeutung“, das Für-glaubwürdig-Halten parteiischer Zeugen, gedeckt durch die „freie Beweiswürdigung“ der Richter, das Weglassen entlastender Indizien insbesondere dann, wenn diese einen wahrscheinlichen Revisionsgrund darstellen könnten, die Nichtladung wichtiger Zeugen, sofern die bei der polizeilichen Vernehmung gemachten Aussagen die Anklage ausreichend stützen, eine Klärung im Rahmen eines Verhörs diese jedoch gefährden könnte, Kumpanei unter Richtern selbstverständlich zu Lasten des Angeklagten insbesondere nach erfolgreicher Revision, eine für den Angeklagten vergiftete Atmosphäre am Gericht nach erfolgreicher Revision, unterlaufene Absprachen, Diskreditierung von Entlastungszeugen mit unterstellenden Behauptungen oder Verneinung rein hypothetischer extremer Unterstellungen, Justizirrtümer kafkaesken Ausmaßes, Parteilichkeit von Richtern bei „Aussage gegen Aussage“, obwohl der aussagende Nebenkläger und Zeuge ohnehin erwiesenermaßen zumindest in einem Fall nachweislich gelogen hat, die Aufforderung eines Richters an einen Zeugen, sich Erklärungen für ein nachgewiesenes Indiz auszudenken, das für den Angeklagten spricht, Strafvereitelung im Amt, fast unüberwindliche Hürden bei der Wiederaufnahme von Verfahren, Abschreckungsurteile, Rechtsbeugung und die Aushebelung des Straftatbestandes der Rechtsbeugung, ...
Rolf Bossi - Halbgötter in Schwarz

All diese Zustände deutscher Strafjustiz schildert der seit fünfzig Jahren als Anwalt arbeitende Rolf Bossi in seinem aktuellen Buch.

Für diese Zustände macht er folgende wesentliche Ursachen aus – und entsprechende Lösungsvorschläge:

1. Die Protokollierung bei mutmaßlichen schweren Vergehen ist völlig unzureichend, denn es gibt nur ein formelles Verlaufsprotokoll. Eine inhaltliche Protokollierung findet nicht statt. Damit entzieht sich das Gericht der Kontrolle durch Dritte.

Für Bossi  ist die mangelhafte Dokumentation einer der Kardinalfehler im Strafprozeß: „Richter können Zeugenaussagen ignorieren, missverstehen, verdrehen und in einzelnen Fällen sogar bewusst verfälschen, ohne dass es ihnen nachzuweisen wäre ...[In der schriftlichen Urteilsbegründung] werden die Inhalte aller Zeugenaussagen so referiert, dass sie zum Urteilsspruch des Gerichts passen – und zwar als wären sie in Stein gemeißelt. Es gibt praktisch keine Möglichkeit, die schriftliche Darstellung einer Schwurgerichtskammer in Zweifel zu ziehen oder gar zu widerlegen.“ Denn: Es ist „der ausschließliche `Zweck des Protokolls, den höheren Instanzen mit seiner Beweiskraft die Nachprüfung der Gesetzmäßigkeit des Verfahrens zu erleichtern.´“

Dabei wäre die Protokollierung mit den heutigen technischen Mitteln kaum ein Problem; mit ihr könnte jedoch der Grundsatz der –richterlichen- freien Beweiswürdigung, „in vielen Fällen zur reinen Willkür entartet“, unterlaufen werden.

Unter den gegebenen Umständen kann mancher Richter beim Erstellen der Urteilsbegründung folgender Handlungsmaxime folgen: „Schreibe aus einem Schriftsatz etwas ab, das dir in den Kram passt. Kombiniere es geschickt mit den `Ergebnissen` deiner eigenen Beweisaufnahme. Schüttle alles gut durch, und du hast die passende Aussage.“

2. Es fehlt in Fällen schwerer Kriminalität an unabhängigen Kontrollinstanzen. „...Nicht die „Fehlbarkeit der einzelnen Gerichte, sondern die Struktur des Rechtsweges im bundesdeutschen Schwurgerichtsverfahren “ sind das wahre Problem. „[Seit den Dreißigerjahren per Notverordnung] ist der Rechtsweg bei schweren und schwersten Verbrechen ... nicht nur um das Regulativ des Geschworenengerichts, sondern auch um die entscheidende zweite Tatsacheninstanz der Berufung verkürzt.“

Aufgrund der begrenzten Revisionsmöglichkeiten und wegen der verfehlten Protokollierung ist es Richtern möglich, Urteile „dicht zu schreiben“: „Je weniger zum Tathergang und zu den Motiven in der Urteilsbegründung steht, desto schwieriger wird es sein, das Urteil vor dem Bundesgerichtshof anzufechten.“ Im Falle einer Verwendung von Gutachten vor Gericht gilt die Formulierung „Man habe die Feststellung des Gutachters `in eigener Würdigung vollzogen“ als wasserdicht.

Durch die Begrenzung der Revisionsmöglichkeiten kann es dazu kommen, dass die Wahrheit eine nicht mehr zulässige Falschaussage wird. Die notwendige Anpassung einer entlastenden Zeugenaussage –nach einer erfolgreichen Revision- an die juristischen Gegebenheiten führt dann dazu, dass nunmehr der Zeuge der Lüge bezichtigt werden kann,. Ein Beharren des Zeugen auf der bisherigen Darstellung hingegen müsste unabhängig vom Wahrheitsgehalt als Lüge gelten, denn die Richter dürfen nichts herausfinden, was den bisherigen unangetasteten Tatsachenfeststellungen widerspricht.

Es müsste zur Lösung des Problems eine zweite Tatsacheninstanz geschaffen, oder ersatzweise die Möglichkeiten der sachlichen Revisionsrüge erweitert werden. „Ein ungerechtes Urteil kann ich ... nur dann erfolgreich anfechten, wenn die Möglichkeit einer erneuten Tatsachenüberprüfung besteht.“ „Auch Verstöße eines Gerichtes gegen die Logik, die Denkgesetze und die allgemeine Lebenserfahrung im Rahmen der Beweiswürdigung müssten anfechtbar sein.“

Auch das Bundesverfassungsgericht müsste als letzte Kontrollinstanz angerufen werden können. Zusätzlich sollte ein Bundesbeauftragter zur Verhinderung von Justizunrecht geschaffen werden.

3. Anwälte gehören zu den bevorzugten Zielgruppen für Beleidigungsklagen. Deshalb ist es notwendig, das anwaltliche Recht auf freie Meinungsäußerung und auf Kritik an gerichtlichen, staatsanwaltlichen und polizeilichen Maßnahmen zu stärken, , evtl. analog zur Rechtsstellung von Abgeordneten; „[Die] Rechtsposition [der Anwälte] muß im Sinne einer Waffengleichheit ausgestaltet sein.“

4. Der Missbrauch der Justiz während der Zeit des Nationalsozialismus und seine fehlende Aufarbeitung ist eine historische Wurzel des jetzigen Justizunrechts. Im Urteil von Nürnberg heißt es dazu: „Die Beschuldigung, kurz gesagt, ist die der bewussten Teilnahme an einem über das ganze Land verbreiteten und von der Regierung organisierten System der Grausamkeit und Ungerechtigkeit unter Verletzung der Kriegsgesetze und der Gesetze der Menschlichkeit, begangen im Namen des Rechts unter Autorität des Justizministeriums und mit Hilfe der Gerichte. Der Dolch des Mörders war unter der Robe des Juristen verborgen.“ Die relativ milden Rechtsfolgen für die Verurteilten waren allerdings mit dieser Aussage nur schwer in Zusammenhang zu bringen.

Die Richter, die heute Recht beugen, stehen in Tradition der ungesühnten Rechtsbeugung von Nazirichtern seit 1933 1) wegen der Personalkontinuität 2) wegen der Rechtskontinuität 3) wegen der zur Sicherung der Personalkontinuität notwendigen Aushöhlung des Straftatbestandes der Rechtsbeugung

Ein Gesetz zur Beseitigung des nationalsozialistischen Unrechts, um mit dieser Tradition zu brechen, steht immer noch aus.

5. Extrem hohe, im Grunde unerfüllbare Anforderungen an den Tatbestand der Rechtsbeugung aufgrund der weiten Auslegung der „freien Beweiswürdigung“; während der Fünfzigerjahre wurde der Strafbestand der Rechtsbeugung in Zusammenhang mit der Verhinderung der Verfolgung von NS-Justizverbrechen ausgehöhlt. „Die Praxis der Rechtsprechung hat im Resultat dazu geführt, dass auf Anzeigen wegen Rechtsbeugung hin heute meist nicht einmal mehr die Staatsanwaltschaft ermittelt.“ Ein SS-Standgericht habe lt. BGH als ordnungsgemäßes Gericht gehandelt.

Eigentlich ist der Straftatbestand der Rechtsbeugung nach § 336 ein wichtiges Korrektiv zur richterlichen Unabhängigkeit.

Im Jahre 1995 [!] bequemt sich der BGH zu folgender Äußerung – in Zusammenhang mit einem Urteil über DDR-Unrecht: „... Insgesamt neigt der [5.] Senat zu dem Befund, dass das Scheitern der Verfolgung von NS-Richtern vornehmlich durch eine zu weit gehende Einschränkung bei der Auslegung der subjektiven Voraussetzung des Rechtsbeugungstatbestandes bedingt war.“ (Anmerkung SKIFAS: Konsequenzen wurden daraus offenbar nicht gezogen).

„In der Tradition jener NS-Rechtsbrecher in Robe stehend und in dem aus Erfahrung sicheren Bewusstsein, weitgehend ungestraft zu bleiben, beugen [zahllose bundesdeutsche Richter] auch heute das Recht und produzieren eigene `revisionssichere` skandalöse Unrechtsurteile.

Unabhängigkeit der Richter muß nicht deren Unantastbarkeit bedeuten. Richterliche Unabhängigkeit und freie Meinungsäußerung müssten gegen die ebenfalls hohen Rechtsgüter der Freiheits- und Persönlichkeitsrechte der Angeklagten abgewogen werden.

Zusammenfassung: In der jetzigen Situation ist „im Zweifel für den Angeklagten“ ein kaum einzulösendes Ideal. „Setzen wir also alles daran, damit es Wirklichkeit wird.“

Aktuelle Reformbestrebungen zum Strafrecht gehen jedoch in Richtung einer Beschneidung der Rechtsmittel....



 

Truth Connection